Von Rolf Froböse
Salt Lake City — Ein
unterirdischer Granitbunker in den Wasatch-Bergen im US-Bundesstaat
Utah beherbergt eine ganz und gar außergewöhnliche Sammlung: Nicht
weniger als zwei Milliarden Personendaten sind dort auf Mikrofilmen
erfasst. Was wie ein Geheimarchiv des CIA anmutet, ist in
Wirklichkeit das Werk der auch als Mormonen bezeichneten „Latter Day
Saints“ (LDS), die aus religiösen Gründen Ahnenforschung betreiben.
So stammen die Daten auch nicht von lebenden Personen, sondern von
Menschen, die in der Regel vor 100 bis 400 Jahren gelebt haben.
Nicht minder akribisch ist die Aufgabe, die sich James L.
Sorenson, Geschäftsführer der in Salt Lake City ansässigen Firma
Sorenson Bioscience, gestellt hat. Zum einen ist er an dem
weltweiten „Human Genom Project“ (Hugo) zur Entschlüsselung des aus
rund 140 000 Genen bestehenden menschlichen Erbguts (Genom)
beteiligt. Von den Mormonen inspiriert verfolgt Sorenson seit kurzem
aber auch noch ein weiteres Ziel.
„Das DNS-Molekül gibt uns nicht nur einen Einblick in die
molekularen Zusammenhänge von Erkrankungen, es ist auch eine
Blaupause unserer eigenen Persönlichkeit“, erläutert Sorenson. So
sei die DNS eine Art „innerer Landkarte“, die jedem Individuum
hinsichtlich seiner Abstammung einen eindeutigen Platz zuweise. Und
zwar nicht nur in Bezug auf „Rasse“ und „Volk“, sondern auch im
Rahmen der Familie und Verwandtschaft.
Gemeinsam mit dem Mikrobiologen Professor Scott Woodward will
Sorenson jetzt die Familienforschung mithilfe von Genanalysen und
etwa 100 000 Freiwilligen revolutionieren. Das von ihm
initiierte Projekt „DNS-Genealogie“ sieht vor, dass Amerikaner,
deren Vorfahren aus beliebigen Orten in Europa stammen, ihre DNS mit
Freiwilligen aus „alteingesessenen“ Familien dieser Orte
vergleichen.
Dieses Verfahren soll es ermöglichen, Verwandte aufzuspüren und
durch Abgleich einer entsprechenden Anzahl von Proben sogar
Fragmente eines Stammbaums abzuleiten oder im Idealfall auf
Verwandte zu stoßen, die bereits einen gut dokumentierten Stammbaum
vorliegen haben.
Millionen von Amerikanern seien sehr stark daran interessiert,
etwas über ihre Wurzeln zu erfahren und verwandtschaftliche
Beziehungen nach Europa zu knüpfen, meint Sorenson. Er schätzt die
Kosten des Projekts auf „einige zehn, möglicherweise sogar 100
Millionen Dollar“ und ist zurzeit auf der Suche nach privaten
Sponsoren.
DNS-Analysen zur Bestimmung von Verwandtschaftsverhältnissen hat
es in Einzelfällen bereits gegeben. Für Schlagzeilen sorgte etwa der
Fall der zuletzt in New York lebenden Deutschamerikanerin Anna
Anderson Manahan, die immer wieder beteuert hatte, die jüngste
Tochter von Zar Nikolaus, Anastasia, zu sein. Erst eine Genanalyse
mit Proben aus den Knochen des Zars und der Zarin entlarvten sie
zehn Jahre nach ihrem Tode als Schwindlerin.
Mehr „Glück“ hatte Prinz Philip von England, der den „Zarentest“
bestand. Die familiären Verflechtungen des europäischen Hochadels
ließen sich in seinem Genmuster zweifelsfrei nachweisen.
Neu an Sorensons Projekt ist dagegen das ungleich schwierigere
Massenscreening mit völlig offenen Zuordnungen der beteiligten
Personen. Ist solch ein Verfahren überhaupt praktikabel? „Im Prinzip
ja“, kommentiert Dr. Johann Maurer vom Ressourcenzentrum des
Deutschen Genomprojekts am Berliner Max-Planck-Institut für
Molekulare Genetik. Wenn jemand in seiner Verwandtenreihe durchweg
nur nach den väterlichen oder mütterlichen Ahnen suche, sei es
relativ einfach. Probleme bereiteten hingegen die in der Mehrzahl
befindlichen „gemischten“ Verhältnisse, wo ein großer Aufwand
erforderlich sei, bestimmte familiäre Marker, Polymorphismen
genannt, herauszukristallisieren.
Auch für Professor Svante Pääbo, Direktor des Leipziger
Max-Planck-Instituts für Evolutionäre Anthropologie, besteht noch
kein Anlass zu allgemeiner Euphorie. „Selbst wenn das menschliche
Genom entschlüsselt ist, stehen wir noch ganz am Anfang unserer
Arbeiten“, argumentiert er. Ganz generell sei es immer bedeutend
einfacher, Verwandtschaften auszuschließen als diese zuzuordnen. Der
in Schweden geborene Anthropologe finnischer Abstammung hatte
kürzlich für Furore gesorgt, als er DNS aus dem Knochen eines
Neandertalers mit der Erbsubstanz von Menschen und Schimpansen
verglich. Da sich in beiden Fällen keine Übereinstimmung ergab, war
dies der Beweis dafür, dass der Neandertaler ein eigenständiger
Menschentyp und nicht etwa ein Vorfahre des Homo sapiens gewesen
ist.
Bei anderen Fragestellungen musste Pääbo aber passen. „Einige
Amerikaner afrikanischer Herkunft wollten von mir wissen, welches
Land ihre ursprüngliche Heimat war“, berichtet der Forscher. Diese
Menschen seien im Zuge der Verschleppung nicht nur von ihren
Familien, sondern auch von ihrem Volk getrennt worden, worüber es
keinerlei Unterlagen gebe. „Ich würde ihnen gerne helfen“, sagt
Pääbo, aber das sei bislang noch eine Fiktion.
Die Mormonen haben indes selber noch keine Stellungnahme zum
DNS-Genealogie-Projekt gegeben. Sie setzen weiter auf Urkunden und
Kirchenbücher. Die ausgewerteten Daten werden seit kurzem sogar
kontinuierlich für das Internet aufbereitet. Die Informationen von
über rund 400 Millionen Personen, das sind 20 Prozent des im Bunker
in Utah befindlichen Materials, sind bereits über das Internet
kostenlos abrufbar.